EuroPhantasien (Die islamische Frau aus westlicher Sicht)
ISBN: 9783927388499
Format: 20,8 x 14,6 x 1,6 cm
Seitenzahl: 260
Qualität: Hardcover, gebunden (Leder)
Auflage: 1. Auflage
Publikation Datum: Juli 1995
Autor: Irmgard Pinn / Marlies Wehner
Verleger: Duisburger Inst. f. Sprach- u. Sozialforschung (1995)
Das westliche Bild der Muslimin, wie es durch die Medien, durch Romane und Bücher mit wissenschaftlichem Anspruch vermittelt wird, basiert zu einem großen Teil auf Projektionen "abendländischer" Werte und Gefühle. Muslima gelten als unterdrückt, unselbständig, familienfixiert, ungebildet und rückständig. Das Buch zeigt Klischeebilder und deren Konstruktions- und Reproduktionsprinzipien auf, welche Funktion sie haben und wie solche Denk- und Handlungsblockaden überwunden werden können.
Irmgard Pinn und Marlies Wehner "bürsten erfrischend polemisch festgefahrene Meinungen und Interpretationsmuster gegen den Strich. Ihre Analyse ist längst fällig. Ein Gewinn." (taz)
Einleitung
In der Bundesrepublik leben etwa zwei Millionen Musliminnen und Muslime, viele von ihnen seit Jahrzehnten. Trotzdem wissen Deutsche im Allgemeinen kaum etwas von ihnen. Islamische Lebensweise und Kultur gelten als fremd und für viele auch als bedrohlich, was sich beispielsweise in der oft polemischen und aggressiven Abwehrhaltung gegen Moscheeneubauten äußert. Von den Medien, die wohl als wichtigste Informationsquelle anzusehen sind, werden muslimische Migrantinnen nur unter ganz bestimmten Aspekten wahrgenommen: als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt in Zeiten schlechter Konjunktur, als problematische, besonders schwer integrierbare Gruppe unter den Ausländern oder, in letzter Zeit zunehmend, als (potentielle) »fundamentalistische« Unterwanderer unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung. Nach wie vor ist das Image muslimischer Frauen wesentlich davon bestimmt, unterdrückte, abhängige »Anhängsel« ihrer »Gastarbeiter«-Männer zu sein. Noch fremder sind uns die Frauen in den islamischen Ländern selbst[1]. Ungeachtet räumlicher Distanzen, die größer sein können als zwischen Schweden und Portugal, und trotz der kaum miteinander vergleichbaren Lebensverhältnisse in reichen Staaten wie Saudi-Arabien und anderen, die wie Algerien, Jemen oder Afghanistan in einer tiefen Wirtschaftskrise stecken, ist unser Vorstellungsbild von der Lebenssituation für Frauen bemerkenswert undifferenziert: Insbesondere wenn sie durch ihre Kleidung eine religiöse Bindung signalisieren, reicht das im allgemeinen, um sie als unselbständig, familienfixiert, ungebildet und rückständig zu klassifizieren. So niedrig das Informationsniveau der meisten Deutschen/Europäer über den Islam und das Leben in islamischen Ländern auch ist, »wissen« sie doch, wie es den armen Geschöpfen unter dem Tschador geht. Und entsprechend fallen ihre Reaktionen aus: teils verständnislos bis ablehnend, teils mitleidig.
Für Entstehen und Fortbestehen der Misere wird der Religion eine zentrale Bedeutung zugeschrieben, weshalb denn auch die fast überall in der islamischen Welt zu beobachtende Rückbesinnung auf den Islam als Ausgangsbasis für die Gestaltung von Gesellschaft und Politik bei uns überwiegend negative Resonanz findet. Durch diese Entwicklung, lautet die gängige Auffassung, werde Musliminnen der Weg in die Emanzipation abgeschnitten. Was sie in Ländern wie Ägypten oder Algerien mühsam und meistens ohnehin erst ansatzweise erreicht hätten, sei in höchstem Maße gefährdet.
Es liegt uns fern, die vielfältigen Formen von Unterdrückung und Missachtung von Frauen in islamischen Gesellschaften bzw. von Versuchen, den Islam für reaktionäre Ziele zu instrumentalisieren, schön reden zu wollen. Dennoch widersprechen wir der üblichen pauschalen Etikettierung des Islam als frauenfeindlich. Auf diese Weise werden nämlich erstens die großen Unterschiede von Land zu Land, die Kluft zwischen armen und wohlhabenden Bevölkerungsschichten sowie die sozialen Verhältnisse und kulturellen Gegebenheiten islamischer Länder vorschnell eingeebnet. Schuldzuweisungen an »den Islam« blenden zweitens nicht durch die Religion geprägte oder ihr sogar zuwiderlaufende historische Entwicklungsprozesse in der islamischen Welt aus, z.B. während der Epoche des Kolonialismus.
Vieles, was an Rückständigkeit, Dogmatismus, Autoritätshörigkeit usw. typisch islamisch zu sein scheint, erweist sich bei näherer Analyse drittens als durch soziale und/oder kulturelle Einflussfaktoren ganz anderen Ursprungs bedingt, etwa als charakteristisch für patriarchalisch strukturierte Agrargesellschaften. So betrachtet, ergeben sich zuweilen frappierende Übereinstimmungen mit Denk- und Verhaltensweisen, wie sie ebenso in nicht-islamischen Regionen des Mittelmeerraumes, in Osteuropa oder Lateinamerika in bestimmten Schichten/Milieus anzutreffen sind. Auch gibt es fast überall in der islamischen Welt einen mit Traditionen und sonstigen Einflüssen vermischten »Volksglauben«, der sich, gerade was die Stellung der Frau betrifft, mehr oder weniger weit von Koran und Sunna entfernt hat.
Viertens verkennen die gängigen Betrachtungsweisen leicht die Folgen des gerade durch die »Modernisierung« (Urbanisierung, Migration etc.) erzwungenen gesellschaftlichen Wandels. Die Auflösung großfamilialer Strukturen und die Schaffung industrieller Arbeitsplätze wirken sich keineswegs nur segensreich aus, und besonders für Frauen gilt die alte Redensart »Stadtluft macht frei« offensichtlich nur sehr bedingt. Sie verlieren oft zunächst einmal ihnen herkömmlicherweise zustehende Rechte und den Schutz durch die eigene Verwandtschaft. Männer dagegen werden aus der Verantwortung entlassen, vor allem wenn sie, getrennt von ihren Familien, in reicheren islamischen Ländern oder in Europa arbeiten. Die so entstehenden, besonders für Frauen oft desolaten Lebensbedingungen werden dann von außen leicht auf den verhängnisvollen Einfluss islamischer Werte und Normen zurückgeführt.
Zu Unrecht als islamisch angesehen werden fünftens oft Ansichten und Lebensformen, die überall, auch in der BRD, typisch sind für geringer qualifizierte Bevölkerungsschichten mit niedrigem Sozialprestige, z.B. was die Einstellung zu Bildungsangeboten, zur politischen Partizipation oder zur Rollenverteilung in der Familie betrifft. Schließlich ist uns sechstens aufgefallen, daß all das, was von Musliminnen (und Muslimen), die sich im Privatleben und in ihrer Einstellung zu Gesellschaft und Politik am Islam orientieren, selbst positiv bewertet wird, kaum Beachtung findet. Daraus ergibt sich eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung und der Sichtweise von außen.
Damit soll das Negativbild nicht einfach umgekehrt werden. Wie generell im menschlichen Leben, mischen sich die Elemente, spielen soziale Umwelt, Erwartungen usw. eine Rolle. Wir weisen nur darauf hin, dass all das, was für viele Musliminnen eine islamisch orientierte Lebensweise bedeutet – die Gemeinschaft unter Schwestern (einschließlich Cousinen, Freundinnen usw.), Bestätigung und Befriedigung durch die Anerkennung als gute Mutter, Ratgeberin und Gastgeberin, Alltagsfreuden und Feste, Kraft und Zuversicht aus der Einbindung in eine soziale und spirituelle Gemeinschaft – in der von uns ausgewerteten Literatur kaum vorkommt.
Für die öffentliche Meinung über »den Islam« sowie über »Gastarbeiter« aus muslimischen Ländern im Besonderen sind die Medien von kaum zu überschätzender Relevanz, und zwar sowohl als Orte, wo einerseits die »Stimme des Volkes« und andererseits politische Macht und kommerzielle Interessen sich artikulieren, wie andererseits auch als Produktionsstätten öffentlicher Meinung.
In Anbetracht dieser Bedeutung der Medien als Informationsquelle, als erheblich zur Genese von Sympathien und Ablehnung beitragend und als Austragungsfeld sozialer/kultureller Konflikte ist die Zahl empirischer Untersuchungen über den Einfluss von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen auf das Islambild erstaunlich gering. Johannes Esser lieferte 1985 mit zwei von CIBEDO herausgegebenen Heften einen informativen Überblick darüber, »wie deutsche Pressestimmen sich mit der Welt des Islam auseinandersetzen«. Leider beschränkte er sich im Wesentlichen auf eine Zusammenstellung von Zitaten nach Themenbereichen, z.B. »Islamisches Selbstverständnis« oder »Islam und Moderne«. Zu Frauenbelangen oder der Mitwirkung von Frauen an politischen Veränderungsprozessen (z.B. der Revolution im Iran) findet sich hier nichts. 1990 veranstaltete die Deutsche Welle in Zusammenarbeit mit der Islamischen Wissenschaftlichen Akademie in Köln ein Symposium zum Thema »Der Islam in den europäischen und deutschen Massenmedien«, dessen Referate und Diskussionsbeiträge nicht zuletzt als Einblick in die Vorstellungswelt deutscher JournalistInnen vom Islam und ihre Herangehensweise an dieses Thema von Interesse sind. Einen bedeutenden Erkenntnisfortschritt zeigt die 1994 vom Medienprojekt Tübinger Religionswissenschaft herausgegebene Aufsatzsammlung »Der Islam in den Medien« an. Die AutorInnen gehen unterschiedlichen Fragen nach, analysieren z.B. Zusammenhänge in der medienvermittelten »gesellschaftlichen Bildproduktion und Religion« oder die Suggestivkraft von Peter Scholl-Latours Fernsehdokumentationen. Mehrere Artikel beschäftigen sich mit den Konstitutionsprinzipien des »Feindbildes Islam«. Trotzdem ist der Bedarf an vertiefenden Analysen einzelner Aspekte weiterhin ebenso groß wie der an Langzeitstudien und übergreifenden Darstellungen, besonders an solchen, denen nicht nur eine westliche Sichtweise zugrunde liegt.
Nicht viel besser sieht es mit der wissenschaftlichen Literatur über die Mediendarstellung muslimischer Migranten und Migrantinnen aus. In J. Manuel Delgados Studie »Die 'Gastarbeiter' in der Presse« (1972), mit der er Ergebnisse seiner Zeitungsanalyse von Mitte bis Ende der 60er Jahre vorstellt, wird bereits das im Vergleich zu anderen Einwanderern niedrige Sozialprestige von Türken/Muslimen deutlich. Frauen kommen hier als eigenständige Wesen nicht vor. Das ist gewiss weniger mit dem größeren Männeranteil unter den Angeworbenen zu erklären als mit der androzentrischen Sprache und der arbeitsmarktfixierten Sicht auf die Zuwanderung. Migrantinnen waren entweder selbst »Gastarbeiter« oder fielen in die Kategorie »Familie«. Auch in einer neueren Publikation, dem Sammelband »Ausländer und Massenmedien« (1987), geht es um Darstellungen »der Ausländer« in deutschen Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendungen. Klaus Mertens weist auf die Diskrepanz hin, die in der Berichterstattung über »Ausländer« aus bestimmten Ländern, vor allem aus Mitteleuropa, USA, Kanada oder Australien, bzw. über akzeptierte Ausländer, z.B. Künstler und und Sportler, einerseits und »Gastarbeiter« und Asylbewerber andererseits zu beobachten ist. Während Spanier, Griechen oder Italiener sich nach den Ergebnissen seiner Analyse eines eher positiv besetzten Images erfreuen dürfen, rangieren Türken ganz unten auf der »Skala der Verachtung«, wobei dem Islam als kulturelle Distanz schaffend aus deutscher Sicht offenbar eine besondere Bedeutung zukommt (ebd., S. 72 f.).
Wir gehen im Folgenden zunächst den verschiedenen Facetten des westlichen Bildes der Muslimin nach. Während früher die verführerische Orientalin hinter Haremsmauern die Phantasie von Malern, Reisenden und Schriftstellern beflügelte, dominiert heute einerseits das teils schicksalsergebene, teils aufbegehrende »Opfer des islamischen Patriarchats« und andererseits die schwarz verschleierte »Fanatikerin«, Inbegriff »der Fremden« überhaupt. Besonders interessierte uns, wie muslimische Migrantinnen (die zunehmend deutsche Staatsbürgerinnen sind) gesehen werden. Dabei zeigte sich, dass ungeachtet aller Unterschiede zwischen einer Marokkanerin der ersten »Gastarbeitergeneration«, einer in Köln geborenen türkischen Pädagogin der zweiten Generation und einer iranischen Studentin, die seit vier, fünf Jahren in der BRD lebt, eine das Verhältnis zur deutschen Umgebung prägende Gemeinsamkeit besteht: Wenn sie ihre Bindung an den Islam nach außen zu erkennen geben, stoßen sie rasch an die Toleranzgrenzen. Nur wenigen bleiben Erfahrungen von sozialer Marginalisierung und Diskriminierung erspart.
Das spiegelt sich auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung wider. Trotz des offensichtlich großen Interesses an Büchern und Veranstaltungen zum Themenbereich »Frau und Islam« gibt es kaum ernsthafte Bemühungen, sich auf Werte und Ansichten, auf die so fremdartig anmutende Lebensweise und die gesellschaftlichen Orientierungsmuster von islamischen Frauen zunächst einmal ohne vorgefertigte Schablonen einzulassen, nicht immer nur nach Abweichungen und Defiziten zu fragen, nicht von vornherein eine Überlegenheit der abendländischen »Moderne« zu unterstellen.
Ursprünglich hatten wir vermutet, ein breiteres Spektrum von Einstellungen, je nach Art der Literatur zum Thema »Frau und Islam« sowie nach der politischen Orientierung ihrer VerfasserInnen bzw. der Verlage oder Zeitschriften vorzufinden, doch die Auswertung ergab zu unserer Überraschung kaum Unterschiede zwischen in der Boulevardpresse erschienenen Artikeln oder Trivialromanen à la »Nicht ohne meine Tochter« (Betty Mahmoody 1990) und seriösen Publikationen (einschließlich solchen mit linkem oder feministischem Anspruch). Das Verhältnis der westlichen Frauenbewegung zur Muslimin scheint uns besonders prekär, weshalb wir uns damit speziell auseinandersetzen.
Genese und soziale Funktion westlicher Vorstellungsbilder vom Islam sind im Kontext der Re-Islamisierung[11] und der Auseinandersetzung um die weltweite politische, ökonomische und kulturelle Hegemonie des Westens zu sehen. Die in fast allen islamischen Ländern seit einiger Zeit zu beobachtende Renaissance der Religion im gesellschaftlichen und politischen Leben trifft im Westen überwiegend auf Verständnislosigkeit und Abwehr, wird gleichgesetzt mit »Fundamentalismus«, wenn nicht gar mit »Fanatismus«. Wir fühlen uns irritiert und bedroht und prognostizieren darüber hinaus den MuslimInnen, sich auf diese Weise selbst den Weg in die Moderne zu versperren. Die solchen Überzeugungen zugrundeliegende Polarisierung von orientalischer Rückständigkeit und abendländischer Moderne, das neue »Feindbild Islam« und das Modell einer »universalen Zivilgesellschaft«, nach dessen Kriterien die politische Entwicklung islamischer Länder aus linker und feministischer Sicht bewertet wird, erörtern wir im mittleren Teil dieser Arbeit. Einen weiteren Schwerpunkt bildet sodann das westliche Bild der Muslimin im Kontext rassistischer Strategien und Praktiken. Dazu gehören z.B. typische, die Kleidung, das Geschlechterverhältnis oder das Alkohol- und Schweinefleischverbot betreffende Wahrnehmungsmuster und Projektionen. Vielfach wird behauptet, Musliminnen würden durch Aussehen und Verhaltensweisen bei »eingeborenen Deutschen« Ängste und Bedrohungsgefühle provozieren, sie machten sich durch unattraktive Kleidung und Isolation selbst zu Außenseiterinnen, und das islamische Geschlechtsrollenverständnis verhindere ein »normales« Miteinanderumgehen von Frauen und Männern, von Deutschen und Muslimen. Solche Auffassungen stehen, wie wir zeigen werden, in der Traditionslinie »klassischer« rassistischer Welt- und Menschenbilder.
Das westliche Bild der Muslimin basiert wesentlich auf Projektionen »abendländischer« Werte und Gefühle. Es ist Bestandteil eines Gegenentwurfes zur »europäischen Zivilisation« und dient in erster Linie der Konstitution und Stabilisierung einer deutschen bzw. »abendländischen« Identität. Uns geht es im Folgenden weniger darum – und das sei vorab besonders betont –, wie es in islamischen Ländern nun wirklich zugeht oder was wirklich im Koran über die Frau gesagt wird. Unser Anliegen ist es vielmehr, Klischeebilder und deren Konstruktions- und Reproduktionsprinzipien aufzuzeigen sowie die Diskussion darüber anzuregen, wie Mechanismen der Ausgrenzung auch in progressiven, linken, feministischen, internationalistischen Kreisen wirken, welche Funktion sie haben und wie derartige Denk- und Handlungsblockaden überwunden werden könnten.
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